Die zerstörerische Mischung aus Verletzung und Arthrose

Die Volkskrankheit Arthrose wird im Allgemeinen als Verschleißprozess gewertet. Sie betrifft vor allem die großen lasttragenden Gelenke der Beine. Das Knie ist am häufigsten betroffen. Schätzungsweise werden mittlerweile bis zu zwei Millionen Patienten jährlich weltweit mit Knieprothesen versorgt. Es wird geschätzt, dass sich diese Zahl 4- bis 6-fach vergrößern wird in den kommenden Jahren. Wie kann man die Arthrose aufhalten? Es gibt neuere Studien, die zeigen, dass bereits eine kleine Meniskusverletzung zu einer Freisetzung von Enzymen führen kann, die eine Arthrose dann herbeiführen. Mit den oben ausgeführten Überlegungen zum Kreuzband oder Meniskus geht man vor allem von mechanischen Problemen im Gelenk aus. Parallel dazu kommt es jedoch auch zu gewissen Veränderungen und wahren Molekülstürmen im Gelenk. Instabilität durch eine Bandverletzung oder Fehlen eines Puffers führt zu unnatürlichen Kraftspitzen in bestimmten Bereichen des Gelenkes, die dann den Knorpel zerstören. Dieses mechanistische Denken ist jedoch zu einfach. Es handelt sich um ein multifaktorielles Geschehen, das im Grunde genommen zum Organversagen führt. Als Organ wird hier das ganze Gelenk verstanden. Man muss sich hier die Fragen stellen, ob der Schaden im Gelenk angeboren oder erworben ist. Und zweitens handelt es sich um ein vielmehr biologisches oder biomechanisches Problem. Hieraus kann man dann vier Untergruppen von Patienten bilden, die einer entsprechenden Therapie zugeführt werden sollten. Ein angeborenes, biologisches Problem wie beispielsweise eine Genveränderung mit Störung der Kollagen- und Proteoglykansynthese führt zur Entwicklung einer Arthrose. Dies ist derzeit jedoch leider nicht behandelbar. Zu den angeborenen biomechanischen Problemen gehören beispielsweise Achsabweichungen des Gelenkes, diese können chirurgisch angegangen werden. Zu den erworbenen biologischen Problemen gehören beispielsweise Infektionen oder rheumatoide Arthritis. Diese können durch einige Medikamente zunächst gut behandelt und in Schach gehalten werden. Die erworbenen biomechanischen Probleme sind sicherlich die größere Gruppe. Hierzu zählen vor allem die Verletzungen.

Das Problem aller Gruppen ist, dass der Auslöser irgendwann in der Vergangenheit aufgetreten ist und es zu einer Vorarthrose kommt. Diese Vorarthrose ist meist klinisch stumm und die Symptome setzen erst spät ein, wenn schon relativ viel Gewebe im Gelenk kaputt gegangen ist. Genau geguckt wird jedoch erst, wenn es  zu Problemen kommt. Der Ansatz vor der Arthrose ist das Feld der Prävention und sehr schwer zu steuern. Es ist jedoch klar, dass beispielsweise ein kleiner Meniskusriss schon zu Schleimhautveränderungen führen kann, die im Gelenk dann zu erheblichen Problemen führen können. Die einzelnen Gewebestrukturen reden quasi miteinander. In diesem Gespräch durch das Freisetzen von Enzymen und Botenstoffen kann im wahrsten Sinne des Wortes eine Art brauende Suppe produziert werden. Dies führt initial zu Schwellungen, hemmt die allgemeine Heilung und setzt die Arthrose in Gang. Dieses Konzept der biologischen Gewebsverletzung führt dazu, dass man neue Ansätze sucht, in denen man operativ zur Reparation angreifen kann. So kommen neben den oben zuvor erwähnten Therapieoptionen auch beispielsweise Stammzellen oder konzentrierte Zelllösungen in Betracht, die in das Gelenk gebracht werden. So ist durch Stammzellenkonzentrate beispielsweise eine Reparation im Gelenk möglich. Durch die Zellbotenstoffe im Gelenk wandern diese Zellen dann an die Stelle, an der die Verletzung aufgetreten ist und reparieren diese vor Ort direkt, also indirekt durch wiederum Freisetzen eigener Wachstumsfaktoren und ein Verändern der Umgebungskonzentration von bestimmten Zellbotenstoffen, um eine so genannte anabole – also aufbauende – Umgebung zu schaffen. Diese biochemische Beeinflussung des kaputten Gelenkabschnittes hat einen erheblichen Einfluss auf die Heilung und später wahrscheinlich sehr weitreichende Auswirkungen. Wenn wir nun dazu parallel Medikamente  irgendwann dann einsetzen, die die Entzündung hemmen, kann auch manchmal die Heilung unterdrückt werden. Statt Zellen werden hier auch Medikamente diskutiert wie Interleukin 1 (IL-1), Glucosamine oder auch Chondroitin. Diese Stoffe sind auch in der normalen Gelenkschmiere vorhanden und stimulieren die Reparatur der Knorpelmatrix. Die Wirkmechanismen sind mittlerweile einigermaßen gut verstanden, der Einsatz als Therapeutika aber noch nicht ausreichend untersucht. Sie sehen, dass die biologischen Ansätze vielfältig sind. Die Hoffnung besteht, dass diese biologischen Ansätze die Chirurgie möglichst ersetzen. Dies sind jedoch Zukunftsträume, bis dahin werden wir weiterhin auf eine Mischung von diesen modernen Ansätzen plus Chirurgie angewiesen sein. Regeneration sollte vor Reparatur stehen. Die Reparatur vorm Ersatz mit natürlichem Gewebe. Und wenn dies alles nicht mehr hilft, sollten wir erst auf die künstlichen Materialien zurückgreifen. Allgemein lässt sich sagen: Biologie vor Bionik in der Gelenkchirurgie.